Second Love
8. September 2023

Ein Hoch auf Secondhand?

Es ist September. Secondhand September. Ein Monat ganz im Zeichen des Wiederverwendens unserer Gebrauchsgüter. Gerade im Modebereich erfährt die Idee seit einigen Jahren grossen Aufwind. Gemäss einer aktuellen Umfrage von Statista hat rund ein Viertel aller Schweizer:innen in den vergangenen 12 Monaten mindestens einmal ein Kleidungsstück aus zweiter Hand gekauft. In einigen Kreisen wird sogar fast ausschliesslich Secondhand geshoppt, aus Budget-, Style- und Umweltgründen. So weit so gut. Sehr gut sogar. Auch wir sind engagierte Verfechter:innen von möglichst langen Lebenszyklen und begrüssen Kreislaufmechanismen wie verschenken, tauschen oder weiterverkaufen. Immerhin sagen Studien, dass die Textilbranche nach wie vor zu den umweltschädlichsten gehört. Auf der Website des Europäischen Parlaments liest sich: «Schätzungen zufolge verursacht die Modebranche 10 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen […]», ausserdem verursacht die Herstellung unserer Kleidung verheerende Wasserverschmutzungen, sie benötigt enorm viel Fläche und Bewässerung. Im Grunde ist es unumstritten: Neu produzierte Mode ist in vielerlei Hinsicht problematisch. Entsprechend nahe liegt die Vermutung, Secondhand wäre die beste Lösung.

Allerdings drängt sich uns die Frage auf, ob die Sache tatsächlich so simpel ist. Weil: Ist ein umweltschädliches und sozial unverträgliches Fast Fashion T-Shirt wirklich plötzlich nachhaltig, nur weil es nach einmaligem Tragen an einer überfüllten Stange im Secondhand Store landet? Ist der Impact einer mit Chemikalien vollgepumpten Jeans aus konventioneller Baumwolle geringer, weil sie nicht nur von einer, sondern von zwei oder drei Personen getragen wird? Macht eine billige Bluse mit kurzer Lebensdauer plötzlich Sinn, lediglich weil sie dazwischen mal getauscht wurde? Wir glauben: «Nein.» Viel eher begegnen wir hier einem neuen (?) Phänomen: Greenwashing auf Konsumebene. Teilweise auch ein Reinwaschen unseres schlechten Gewissens. Auf jeden Fall ein Verdrängen eines Problems. Und der Tatsache, dass wir auch Secondhand differenziert betrachten müssen.

Es gibt zwei Pole und wie immer viele Schattierungen dazwischen. Es gibt Secondhand im wahrscheinlich ursprünglichsten Sinne. Dabei werden hochwertige, langlebige Kleider nicht entsorgt oder in einem Kleidersack in den sogenannten Weltsüden «gespendet», sondern lokal weiterverkauft. Manchmal über Generationen hinweg, weil nicht nur die Qualität stimmt, sondern auch der Stil zeitlos ist. Diese Kleidung stammt aus den Kleiderschränken von Modeliebhaber:innen, die das Zeitliche gesegnet haben, oder aus der Sammlung stilsicherer Fashionistas, die regelmässig ihren Bestand kuratieren und aussortieren. Heute möglicherweise auch nach einer Schwangerschaft, wenn sich der Körper verändert hat, oder nach einem Jobwechsel und die Arbeitsgarderobe nicht mehr passt. Bezeichnend ist hier, dass die Kleidung ursprünglich nach gutem Überlegen gekauft und über längere Zeit sorgfältig gepflegt sowie mit Liebe getragen wurde. Sie verlassen den Kleiderschrank nicht, weil Platz für die Beute des letzten Fashion Hauls benötigt wird, sondern weil sie tatsächlich nicht mehr funktionieren für die besitzende Person. 

Und dann gibt es den anderen Pol. Secondhand von billiger Fast Fashion. Von Kleidungsstücken, die nur einmal getragen wurden und trotzdem schon fast auseinanderfallen. Diese Teile können auch kaum günstiger sein als ursprünglich als Neuware, denn schon damals kosteten sie ja weniger als ein Coffee To Go. Secondhand für das gute Gefühl, aber weder für die Umwelt noch für das Portemonnaie. Während hochwertige Secondhand Teile wahre Unikate sind und als Lieblingsstücke über Jahre bis Jahrzehnte in einer tollen Garderobe Freude bereiten, ist der – überspitzt formuliert – Ramsch Secondhand die gleiche Mogelpackung wie Fast Fashion (kurzes Hoch, danach nur ein fahler Nachgeschmack), halt einfach mit einem grünen Anstrich. Davon sind wir definitiv keine Fans.

Eine neuere Studie, die Greenpeace beauftragte, kommt zum Schluss: Würden wir alle unsere Kleider drei Jahre länger tragen (aktuell sind es im Durchschnitt vier Jahre), könnten wir 43 Prozent Treibhausgasemissionen einsparen. Damit sind wir wohl beim entscheidenden Punkt: Die Lebensdauer. Kleider sollten hochwertig produziert, sorgfältig getragen und gepflegt, auch mal repariert oder abgeändert werden. So bleiben sie lange in Gebrauch – und das macht wirklich einen Unterschied. Ob das Stück dabei dreimal die besitzende Person wechselt, von dutzenden geliehen oder die ganze Zeit im gleichen Schrank bleibt, ist zweitrangig.

Entsprechend haben wir uns lange überlegt, ob und wie wir mit einem Secondhand Angebot einen wirklich wertvollen Beitrag zur Kreislaufwirtschaft beitragen können. Inzwischen ist es schon über vier Jahre her, dass wir unser Second Love Konzept ins Leben gerufen haben. Für uns ist Second Love mehr als Secondhand. Es geht tatsächlich darum, Kleider zu lieben, liebevoll weiterzugeben und mit Liebe in eine neue Garderobe zu integrieren. Second Love ist Fair Fashion aus zweiter Hand. Ganz bewusst beschränken wir uns also auf getragene Stücke, die schon aus erster Hand unsere Kriterien an Sozialverträglichkeit und Ökologie erfüllen. Weil wir überzeugt sind, dass es so in unser Konzept passt und wirklich zu mehr Nachhaltigkeit führt. Begeistert dürfen wir heute sagen: Die Idee funktioniert. Das Angebot wird rege genutzt und nimmt mehr und mehr Platz in unserem Laden ein. Das freut uns sehr. Klar ist das nicht die einzige Art, Secondhand sinnvoll umzusetzen, aber es ist unser Weg. 

Und wir bleiben dabei: Secondhand ist grossartig. Nur nicht in jedem Fall.