Money Money Money
24. November 2022

Money Money Money: Alle Karten auf den Tisch

Über Geld zu sprechen, zählt nicht zu den grössten Stärken der Schweizer:innen. Was nicht ist, kann aber noch werden. Wir jedenfalls legen hier mal alle Karten auf den Tisch.

Es ist so: Wir hatten schon unbeschwertere Zeiten. Ganz allgemein, aber eben auch in Bezug auf unsere finanzielle Situation. Gründe und Erklärungen gibt es diverse, im Endeffekt ist es ein Zusammenspiel von verschiedenen Faktoren. Einerseits hat uns die Pandemie vor allem in Zürich (Eröffnung drei Wochen vor dem ersten Lockdown) hart getroffen. Die Ladenschliessungen selber, die diversen Massnahmen und Einschränkungen und vor allem die Anweisung, zuhause zu bleiben, machten es quasi zur Unmöglichkeit, richtig Fuss zu fassen. Keine Events, zurückhaltende Kundschaft und ein irgendwie wenig entspanntes Einkaufserlebnis in den Läden. glore Zürich konnte die Kinderschuhe noch nicht mal richtig anziehen und steckt nun doch viel zu lange darin fest. Wir tun uns schwer, eine breitere Bekanntheit zu erreichen, die Frequenzen im Laden und die Umsätze sind schlicht zu tief.

Dann geht es uns im aktuellen Jahr leider wie etlichen anderen auch. 2022 sollte das Jahr nach der Pandemie sein. Die Prognose war: zurück zum gewohnten Kund:innen-Aufkommen, zurück zu den benötigten Umsatzzahlen. Die Realität ist eine andere. Es mag der Krieg sein, die Inflation oder grundsätzlich ein verändertes Konsumverhalten. Auf jeden Fall sind die Zahlen überhaupt nicht da, wo sie für unsere wirtschaftliche Nachhaltigkeit sein müssten. Nicht nur in Zürich, sondern auch im eigentlich gut etablierten Luzern erfüllen wir unsere eigenen Erwartungen nicht.

Dazu kommt, dass wir vor einem Jahr zwei Risiken eingegangen sind, die unsere Bilanz zusätzlich belasten. Einerseits wagten wir im Frühjahr 2022 den Ausbau in Luzern. Es bot sich uns eine einmalige Chance und wir brauchten dringend mehr Platz. Wir bereuen die Entscheidung keine Sekunde. Der Laden wurde extrem aufgewertet und wir haben endlich ausreichend Platz für Sitzungen, Büro- und Näharbeiten. Wir gingen davon aus, dass sich die Umsatzzahlen im 2022 zu unseren Gunsten entwickeln und wir damit die Mehrkosten für die zusätzlichen Räumlichkeiten problemlos decken. Aber eben.

Andererseits haben wir unser Team erweitert beziehungsweise die Arbeitsform angepasst. Dabei gilt dasselbe: Überhaupt keine Reue. Aber die leicht höheren Löhne und die aufgestockten Stellenprozente durch zusätzliche Aufgaben im Backoffice summieren sich. Hätte alles aufgehen können. Aber eben.

Nun sitzen wir hier und murksen uns durch den Herbst. Margrit, die bei uns Buch führt, jongliert schon seit Wochen mit Zahlungen und Fristen. Am liebsten wollen wir niemanden warten lassen. Es ist uns bewusst, dass es vielen Brands ähnlich geht und die wenigsten ein grosses Polster haben. Irgendwie geht es gerade so auf – aber eigentlich sollten wir jetzt aus den Einnahmen grössere Beträge zur Seite legen können, um damit die längst vereinbarten Warenlieferungen für die Frühlingskollektion sicher finanzieren zu können.

Damit das etwas plastischer wird, machen wir es ganz konkret. Wir wollen ja alle Karten auf den Tisch legen. 

Einnahmen und Ausgaben 2022

In unseren Köpfen rattert es. Was tun wir, um unser Überleben zu sichern, ohne den eigenen Prinzipien untreu zu werden? Aufdringlicher zu verkaufen oder Rabattschlachten zu veranstalten, sind keine Optionen. Würde sich über eine mittlere Frist auch nicht auszahlen – wir wissen, dass unsere kompetente und ehrliche Beratung sehr geschätzt wird und Menschen zum Wiederkommen motiviert. Eigentlich bräuchten wir also ein richtig gutes Marketingkonzept. Wir erreichen nämlich lange nicht alle potenziellen Kund:innen, sind oft nicht Top-Of-Mind und unsere Botschaften sowie Alleinstellungsmerkmale sind viel zu wenig klar kommuniziert. Aber wie, wenn weder für die Agentur noch für die sinnvollen Massnahmen ein Budget existiert?

Spielraum hätten wir theoretisch auch beim Personal. Wir könnten Stellenprozente streichen, wollen wir aber nach Möglichkeit nicht. Überbesetzt sind wir nämlich keineswegs. Werden wir weniger Menschen, leidet die Qualität unserer Arbeit und die Belastung für die Einzelnen steigt. Oder wir könnten runter mit den Löhnen, wollen wir aber auch nicht. Eine festangestellte Person verdient bei uns 13mal 5’000 Franken brutto bei 100%. Weniger wäre nicht nur völlig unangemessen im Hinblick auf die erbrachte Leistung, sondern auch fragwürdig, da wir uns bekannterweise für existenzsichernde Löhne in der gesamten Lieferkette einsetzen. Das soll auch für uns gelten. 

Ausserdem passiert hinter den Kulissen des Ladens ganz viel wichtige Arbeit. Arbeit über den üblichen Handel von Kleidung hinaus. Arbeit für unsere Vision und unsere Hoffnung, zu einem zukunftsfähigen Umgang mit Mode zu sensibilisieren und inspirieren. Arbeit, die bisher keine direkten Einnahmen generiert – auf die wir aber trotzdem nicht verzichten wollen. Denn eine fundierte Recherche zum Beispiel ist die Grundlage für die richtigen Entscheide beim Einkauf unseres Sortiments. Nur mit diesem Know-how können wir unsere Kriterien so definieren, dass unsere Arbeit tatsächlich einen positiven Impact hat. Auch unsere kostenlosen Events und die vertieften Fachbeiträge auf der Webseite wollen wir unbedingt beibehalten. Auf diese Art fördern wir den Austausch zu wichtigen Fragen und vermitteln entscheidendes Wissen. Ziel dabei ist, Menschen zu bewussten Konsumentscheidungen zu befähigen. Dieses Wissen soll für alle verfügbar und einfach zugänglich sein. Für uns gilt es also, Konzepte zu entwickeln, wie wir diese wichtige Arbeit monetarisieren können, ohne dabei exklusiv zu werden. Wir wollen unser Business-Modell weiterentwickeln und gezielt ausweiten. Wir sagen es nicht zum ersten Mal: Mit dem aktuellen Angebot sind wir noch nicht am Ziel. Wir nehmen motiviert einen weiteren Wegabschnitt in Angriff. 

Eine Sache, die jetzt schon klar ist: Wir werden dieses Jahr keine Adventsspende tätigen können. So sehr wir darauf gehofft hatten, es macht in der momentanen Situation keinen Sinn. Jetzt geht es erstmal darum, Löhne, Mieten und Rechnungen von Lieferant:innen zuverlässig zu bezahlen. Wir wollen hier unsere Verantwortung ernst nehmen und vernünftig handeln. Wir glauben daran, dass wir einen Weg aus dieser herausfordernden Zeit finden – auch, weil wir wissen, wie sehr wir von unseren Kund:innen unterstützt und treu begleitet werden. Wir werden angespornt, weiter zu denken und fokussiert für die Sache zu arbeiten, der wir uns verschrieben haben. Die Situation mag unangenehm sein, aber sie treibt auch voran. Oder in kitschig ausgedrückt: Diamanten entstehen unter Druck.